Bericht von Stephan Zenke
Es ist noch nicht Weihnachten, aber die Fraktion der Freien Wähler Vereinigung (FWV) im Reutlinger Gemeinderat hat jetzt schon einen feinen Wunschzettel. Der Weihnachtsmann ist in diesem Fall die Reutlinger Stadtverwaltung, an die sich zahlreiche Anträge und Anfragen richten. Oben auf der Liste steht neues Leben in einem alten Gebäude, dessen jahrelanger Leerstand die Räte ratlos macht: Wieso können im vom berühmten Architekturbüro Behnisch entworfenen ehemaligen Altenheim Haus Ringelbach nicht zumindest vorübergehend Flüchtlinge aus der Ukraine wohnen?
Alle Jahre wieder kommt die Frage nach der Zukunft des 1976 errichteten Bauwerks in unterschiedlicher Geschenkverpackung auf die Tagesordnung. Das Haus steht unter Denkmalschutz, gilt als architektonisch wertvoll, erfüllt aber moderne Pflege- und Sicherheitsstandards nicht. Nachdem ursprünglich eine Generalsanierung ins Auge gefasst worden war, schwenkte man im Jahr 2007 um und votierte für eine Schließung und für den Verkauf an einen Investor, der dort beispielsweise hätte Altenwohnungen schaffen können. Daraus wurde nichts.
Im Jahr 2011 beschäftigte eine Generalsanierung des Gebäudes und insbesondere seines Brandschutzes die Stadt. Vier Jahre später verließen die letzten alten Bewohner das Haus. Die Geschichte hat also einen Bart, den die FWV-Fraktion nunmehr abrasieren möchte.
»Könnte man nicht den Behnisch-Bau reaktivieren«, fragt Kurt Gugel im Namen seiner Fraktionskollegen. Denn grundsätzlich ließen sich in dem Gebäude möglicherweise doch Kriegsflüchtlinge unterbringen. Die alten Menschen residierten einst in Ein- und Zweibettzimmern mit gemeinsamen sanitären Einrichtungen.
Sehr fein auf der Fassade zu sehen ist, wie der Blick aus den Räumen in Richtung Süden geht, es Balkone gibt. Die Einschränkungen vor allem im Bezug auf den Brandschutz sowie die Eigentumsverhältnisse sind der FWV wohl bekannt, jedoch hinterfragen die Freien Wähler exemplarisch die Vorgaben bei der städtischen Suche nach Räumen zur Unterbringung von vor dem Krieg in der Ukraine fliehenden Menschen. »Die Wohnstandards für Geflüchtete erscheinen zu hoch«, steht deswegen in ihrem Antrag an die Stadtverwaltung.
Deshalb sei es nötig, dass diese Standards einmal dargestellt werden. Zu prüfen sei außerdem, ob bestimmte Anforderungen niedriger angesetzt werden können. Als Beispiele nennt der Fraktionsvorsitzende Jürgen Fuchs Feinheiten, die etwa bei Privatvermietungen kein Hindernis darstellen: Fehlende Rollläden im Erdgeschoss, auf Putz liegende Leitungen oder Steckdosen ohne Fehlerstrom-Schutzschalter.
Was das verlassene Altenheim betrifft, ergänzt Friedel Kehrer-Schreiber: »Wir sehen die Not der Ukraine-Flüchtlinge und die Hallen sind voll – und dann hat man da den Behnisch-Bau.« Sie verstehe das nicht.
Nur beschränktes Verständnis hat die Fraktion der Freien Wähler auch dafür, dass Abwässerwärme in Reutlingen immer noch nicht genutzt werde. Bereits 2010 habe die Fraktion beantragt zu prüfen, an welchen Stellen im städtischen Kanalsystem so etwas erfolgen könnte.
Die Antwort der Stadtverwaltung habe damals von weiteren Untersuchungen im Rahmen eines »generellen Entwässerungsplanes« gesprochen. Im vergangenen Jahr sei im Oktober davon die Rede gewesen, »dass zentral im Klärwerk West nach Inbetriebnahme der vierten Reinigungsstufe die Abwasserwärmenutzung realisiert werden soll«. Nunmehr beantragt die FWV erneut eine umfassende Prüfung. »Vor dem Hintergrund der geopolitischen Lage ist das mehr als dringend«, betont Georg Leitenberger, »das Abwasser ist eh da, und die Wärme auch.
Ich weiß, es sind Überlegungen da, aber das sollte schnell umgesetzt werden«.
Zeit spielt auch bei einem weiteren Antrag eine tragende Rolle, denn der Zahn der Zeit nagt an der Häuserzeile mit den Adressen Eberhardstraße 21 bis Willy-Brand-Platz 26 und 28. Die Häuser direkt beim ehemaligen ZOB stehen seit Jahren Wunschzettel der Freien Wähler leer und präsentieren sich sanierungsbedürftig. »Das äußere Bild ist nicht unbedingt positiv öffentlichkeitswirksam.
Getan hat sich seit wenigstens 2013 deutlich nichts – gefühlt schon wesentlich länger nicht«, schreibt die FWV. Deswegen fragt die Fraktion nunmehr im Rathaus nach, wie sie die aktuelle Situation beurteilt, und ob »die Stadtverwaltung bereit ist, beim Eigentümer zeitnah zu intervenieren«.
Um etwas ganz Neues geht es beim Wunsch der Freien Wähler nach einer zügigen und weit in die Zukunft reichen - den Entwicklungsplanung für die »City Nord« und die Oststadt. Letztere steht mit dem Neubau des Landratsamtes vor verschiedenen Herausforderungen. Dabei gehe es um Verkehrsbeziehungen sowie eine neue Verwendung von bisher durch den Landkreis genutzte Immobilien. Für die Karlstraße fordert die FWV einen wesentlichen Umbau: »Wir wollen aus der Karlstraße eine Allee machen«, sagt Jürgen Fuchs. Abgerundet wird das Antragspaket der Fraktion von einem
intensiven Blick auf die wirtschaftliche Lage der Stadt.
»Wir haben mit unserem Nachtragshaushalt gerade noch mal die Kurve gekratzt«, sagt der Fraktionsvorsitzende Fuchs, aber nunmehr stehe man » vor einem Investitionsstau von 500 Millionen Euro«. So wie bisher weiter zu machen, gehe nicht. »Deswegen werden wir einen Stresstest beantragen«, so Fuchs. Die Verwaltung möge den Haushalt mit verschie-denen Szenarien durchrechnen. (GEA)